Grundsätzlich besteht für den Rechtsanwalt, der ein Schriftstück entspre-chend den postalischen Bestimmungen und so rechtzeitig zur Post gege-ben hat, dass es unter Berücksichtigung der üblichen Beförderungszeit den Empfänger rechtzeitig erreicht hätte, keine Nachfrageverpflichtung beim Empfangsgericht.
Dies gilt nicht, wenn der Rechtsanwalt das Schriftstück in einen Briefkas-ten einwirft, dessen unzuverlässige und unregelmäßige Leerung ihm vor-her bekannt ist. In diesem Fall besteht für den Rechtsanwalt eine Ver-pflichtung, beim Empfangsgericht hinsichtlich des Eingangs nachzufra-gen. Unterlässt er dies, ist die Fristversäumnis nicht unverschuldet.
Nach § 117 Abs. 5 FamFG i. V. m. § 234 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 BGB beträgt die Wiedereinsetzungsfrist einen Monat, wenn ein Beteiligter verhindert ist, die Frist zur Begründung der Beschwerde einzuhalten. Die Frist beginnt – da hier kein Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für ein beabsichtigtes Rechtsmittelverfahren vorliegt – mit der Kenntnis bzw. dem Kennen müssen der Fristversäumung. Ausreichend ist in diesem Zusammenhang, wenn der Rechtsanwalt bei Anwendung äußerster Sorgfalt die Versäumung bzw. Wegfall des Hindernisses erkennen konnte. Ob ein Verschulden des Beteiligten oder seines Vertreters vorliegt, ist nach einem objektiv-abstrakten Maßstab des § 276 Abs. 2 BGB zu beurteilen. Hinsichtlich des nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden anwaltlichen Verschuldens ist die Regel, die übliche, also berufsbedingt strenge Sorgfalt vorauszusetzen, so dass insoweit regelmäßig eine Fristversäumung verschuldet ist, wenn sie für einen pflichtbewussten Rechtsanwalt abwendbar gewesen wäre.
Unter Anwendung dieser Sorgfaltsanforderungen war es der Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers möglich, die Fristversäumung am dritten Tag nach Einwurf des Briefes in den Briefkasten zu erkennen. Denn spätestens an diesem Tag wäre die Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers gehalten gewesen, beim Beschwerdegericht hinsichtlich des Eingangs ihrer Beschwerdebegründung nachzufragen. Die Frist begann demnach an diesem Tag (und nicht erst mit dem Hinweis des Gerichts auf die fehlende Beschwerdebegründung) zu laufen, so dass der Wiedereinsetzungsantrag im vorliegenden nicht mehr innerhalb der Monatsfrist eingegangen ist.
Der Vortrag des Antragstellers zum fehlenden Verschulden an der Fristversäumung ist in sich widersprüchlich und deshalb auch nicht glaubhaft gemacht. Der Antragsteller hat zunächst vorgetragen, dass die Postsendung mit der Beschwerdebegründung von der Verfahrensbevollmächtigten eigenhändig in einen Briefkasten eingeworfen wurde, bei dem der Verfahrensbevollmächtigten die nicht fristgerechte und unregelmäßige Leerung bekannt war. Im weiteren Schriftsatz verweist der Antragsteller darauf, dass dies nur ein Vortrag im Hinblick auf das allgemeine Risiko des Verlustes von Postsendungen gewesen sein soll. Selbst bei wohlwollender Auslegung kann der Vortrag des Antragstellers im Wiedereinsetzungsgesuch so nicht verstanden werden. Das Oberlandesgericht geht vielmehr davon aus, dass der Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers beim Einwurf der Postsendung bewusst war, dass der von ihr benutzte Briefkasten unzuverlässig und unregelmäßig entleert wird.
Zwar ist es richtig, dass einem Verfahrensbeteiligten Verzögerungen oder sonstige Fehler bei der Briefbeförderung oder Briefzustellung durch die Deutsche Post AG nicht als Verschulden zugerechnet werden dürfen. Er darf vielmehr darauf vertrauen, dass die normalen Postlaufzeiten eingehalten werden. In seinem Verantwortungsbereich liegt es allein, das Schriftstück so rechtzeitig und ordnungsgemäß aufzugeben, dass es nach den organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen der Deutschen Post AG den Empfänger fristgerecht erreichen kann. Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, ergeben sich für den Beteiligten bzw. für den Verfahrensbevollmächtigten grundsätzlich keine weiteren Sorgfaltsanforderungen.
Anders ist es aber dann, wenn der Beteiligte bzw. der Verfahrensbevollmächtigte gewusst hat oder hätte wissen können, dass mit einer normalen und üblichen Postbeförderung nicht zu rechnen war. Dies ist zum Beispiel bei einem Poststreik der Fall. In diesem Fall ergeben sich dann gesteigerte Sorgfaltsanforderungen, insbesondere die Verpflichtung zur Nachfrage, ob das Schriftstück das Gericht erreicht hat.
Dieser Rechtsgedanke ist auf den vorliegenden Fall zu übertragen. Insbesondere wäre die Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers verpflichtet gewesen nach Ablauf einer angemessenen Frist beim Beschwerdegericht nachzufragen, ob die Postsendung angekommen ist.
Zweifel an einer ordnungsgemäßen Beförderung der Sendung auf dem Postweg hätten bei der Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers schon kurze Zeit nach dem Einwerfen des Schriftstücks entstehen müssen. Denn da ihr nach eigenem Vortrag bewusst war, dass der Briefkasten unzuverlässig und unregelmäßig geleert wurde, konnte sie schon zum Zeitpunkt des Einwurfs des Schriftstücks nicht von einer üblichen und zuverlässigen Beförderung ausgehen. Dieses erhöhte Risiko hat sich nach dem eigenen Vortrag der Antragstellerin auch tatsächlich realisiert.
Somit hätte die Antragstellerin spätestens nach einer Frist von drei Tagen – also spätestens am 16.06.2014 – beim Beschwerdegericht nachfragen müssen, ob ihre Beschwerdebegründung eingegangen ist. Das Oberlandesgericht hält diese Frist unter Berücksichtigung einer normalen Postlaufzeit von einem Tag für angemessen.
Dadurch, dass sie dies nach eigenem Vortrag unterließ, hat sie schuldhaft die Fristversäumnis nicht erkannt. Dies führt dazu, dass die Wiedereinsetzungsfrist bereits am 16.06.2014 begonnen hat, so dass spätestens bis zum 16.07.2014 ein Wiedereinsetzungsantrag hätte gestellt werden müssen Das Wiedereinsetzungsgesuch vom 08.08.2014 ist demnach verspätet.
Nicht gehört werden kann der Antragsteller mit dem Vortrag, dass aufgrund der noch ausreichend zur Verfügung stehenden Frist von mehr als 14 Tage auch bei einer unregelmäßigen Leerung noch mit einem fristgerechten Eingang der Beschwerdebegründung beim Beschwerdegericht hätte gerechnet werden können. Denn dadurch, dass nach dem eigenen Vortrag des Antragstellers der von der Verfahrensbevollmächtigten benutzte Briefkasten unzuverlässig und unregelmäßig entleert wird, ergab sich nicht nur das Risiko einer verzögerten Beförderung, sondern auch das Risiko, dass der Briefkasten entweder überhaupt nicht oder so unzuverlässig geleert wird, dass ein erhöhtes Verlustrisiko von Briefsendungen besteht. Diese Überlegung wird auch durch den tatsächlichen Geschehensablauf insoweit bestätigt, als die Briefsendung nach dem eigenen Vortrag der Antragstellerin tatsächlich verloren gegangen ist.
Schleswig -Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 20. Oktober 2014 – 10 UF 105/14
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