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Keine Wiedereinsetzung – und die Urteilsgründe

Nach § 119 Nr. 6 FGO ist ein Urteil stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist.

Es reicht hierfür aus, wenn die Gründe nur zum Teil fehlen und das Gericht ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel, das für sich allein den vollständigen Tatbestand einer mit selbständiger Wirkung ausgestatteten Rechtsnorm bildet, übergangen hat.

Ein Verstoß gegen das Begründungsgebot liegt jedoch auch dann vor, wenn das Gericht einen wesentlichen Streitpunkt entweder überhaupt nicht erörtert oder mit formelhaften und inhaltlich nicht nachvollziehbaren Formulierungen abhandelt.

Nicht ausreichend ist hingegen, dass die Urteilsbegründung nicht den Erwartungen eines Beteiligten entspricht, lückenhaft, rechtsfehlerhaft oder nicht überzeugend ist.

Die Abgrenzung zwischen erheblichen und nicht wesentlichen Begründungsmängeln hat sich am Zweck der Urteilsbegründung zu orientieren, der darin besteht, für den Ausspruch der Urteilsformel den Nachweis der Rechtmäßigkeit zu liefern.

Vom Vorliegen eines Verfahrensmangels i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO ist danach dann auszugehen, wenn den Beteiligten -zumindest in Bezug auf einen der wesentlichen Streitpunkte- die Möglichkeit entzogen ist, die getroffene Entscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen.

Gemessen daran war in dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall das Urteil, soweit das Finanzgericht die Wiedereinsetzung versagt hat, nicht mit Gründen versehen. Das Finanzgericht hat ein sog. Organisationsverschulden der P in ihrer Kanzlei lediglich behauptet, ohne dass dies anhand der vom Finanzgericht getroffenen Feststellungen nachvollziehbar wäre.

Das Urteil enthält bereits keine tatsächlichen Feststellungen dazu, wann der Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt wurde, wie die Klägerin die Fristversäumnis entschuldigt hat und wie die Einspruchsentscheidung von R über P zu S gelangt ist. Insbesondere hat sich das Finanzgericht in seinem Urteil nicht mit dem Vorbringen der Klägerin und der anwaltlichen Versicherung der P im Schriftsatz vom 23.12 2013 auseinandergesetzt, wie dies erfolgt sein soll. Auch hat S nach dem Inhalt der Niederschrift vom 18.02.2015 in ihrer Vernehmung vor dem Einzelrichter angegeben, sie gehe davon aus, dass ihr die Einspruchsentscheidung -wie üblich- mit der Tagespost schon einmal vorgelegt worden sei.

Es ist nicht ersichtlich, aus welchen Gründen das Finanzgericht den Vortrag für unerheblich, die Angaben der P und der S für nicht glaubhaft oder durch andere Umstände widerlegt angesehen hat.

Zwar ist dem Finanzgericht abstrakt darin beizupflichten, dass ein Organisationsverschulden in der Kanzlei der P dazu führen könnte, dass eine Fristversäumnis schuldhaft sein kann. Das Urteil des Finanzgericht enthält jedoch allenfalls bruchstückhafte Feststellungen dazu, wie die Organisation in der Kanzlei der P überhaupt ausgestaltet ist, so dass offen bleibt, aufgrund welcher Tatsachen das Finanzgericht davon ausgeht, es liege im Rahmen der (nicht tatsächlich festgestellten) Organisation ein Verschulden vor. Zu solchen Feststellungen hätte schon deshalb Anlass bestanden, weil das Finanzgericht im Gerichtsbescheid vom 07.01.2015 noch u.a. aus der Verwendung des Fachprogramms der … geschlossen hatte, dass P die Überwachung der Fristen mit der gebotenen Sorgfalt eingerichtet und fortlaufend überwacht habe sowie der fachkundigen S, die u.a. wisse, dass bei Einspruchsentscheidungen die Klagefrist in einem Fristenkontrollbuch festzuhalten seien, nur ein einmaliges Versehen unterlaufen sei.

Weder die eine noch die andere Aussage des Finanzgericht wird bisher durch tatsächliche Feststellungen getragen.

Bundesfinanzhof, Beschluss vom 11. Mai 2015 – XI B 29/15

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